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Die Frage zu Esra 9 und 10 ist mehr als nur berechtigt. Es wirft wirklich die Problematik auf, wie das zu verstehen wäre, wenn diese Frauen durch Scheidung hätten entlassen werden müssen, weil sie ungläubig waren, obwohl der Herr Jesus in Matthäus 5 und 19 auf die Schöpfungsordnung zurückgreift und erklärt, dass die Ehe vor Gott grundsätzlich unauflösbar ist.
Ausnahmeregelung für Scheidung hier zutreffend?
Es gibt zwar eine Ausnahmeregelung, weil vollzogener Ehebruch das Eheband so im Grundsatz verletzt, dass es in dem Zusammenhang vor Gott möglich ist, eine Ehe aufzulösen (Matthäus 5,32; 19,9). Aber wie kann es in Esra 9 und 10 noch eine andere Berechtigung für die Auflösung der Ehe geben? Wenn wir die verschiedenen Bibelkommentare durchgehen, wird üblicherweise gesagt: Sie mussten sich von diesen Frauen scheiden lassen.
Nicht sicher? Dann lieber schweigen.
Seit vielen Jahren habe ich über diese Stelle nachgedacht und habe sie einfach so stehen lassen, weil ich damals noch nicht klären konnte, wie dieses Problem gelöst werden muss. Man wird in meinen Vorträgen in der Vergangenheit nie eine Bemerkung zu diesem Thema finden: Ehescheidung in Esra 10. Und zwar aus dem folgenden Grund: Ich habe aus dem, was die Bibel sagt, die Überzeugung bekommen, dass man nicht über Dinge predigen oder darüber Vorträge halten soll, wo man nicht wirklich die Überzeugung hat, dass das die Gedanken des HERRN sind. Stattdessen sollen wir in dem Fall schweigen.
“Evangelikaler Agnostizismus” ist falsch und keine wahre Demut.
Es ist einfach nicht richtig, z.B. etwa auf diese Art zu predigen: „Ja, zu diesem Thema gibt es an sich fünf verschiedene Ansichten. Ich neige eher zur Ansicht Nr. 2, aber Ansicht 5 ist durchaus auch möglich.“ Das ist letztlich ein „evangelikaler Agnostizismus“, durch den man ausdrückt, man könne vieles aus Gottes Wort gar nicht richtig wissen und erkennen! Wenn man etwas nicht weiss, dann soll man nicht darüber reden, sondern schweigen. Das war auch der Grund, warum ich zunächst nicht auf diese Frage geantwortet habe. Weil ich nicht etwas sagen will, was einfach eine Menschenmeinung ist. Da muss man einfach die Konsequenzen ziehen und nichts dazu sagen.
Es ist nicht ein Ausdruck von Demut, wenn man sagt, da gäbe es verschiedene Meinungen und es sei einfach nicht klar. Wenn man einfach diese verschiedenen Meinungen verbreitet, und gar nicht in der Lage ist, zu sagen, was jetzt wirklich die Gedanken des Herrn sind. Das ist eine versteckte Art von Stolz. Man drückt dadurch aus: „Ich weiss, wie viele Meinungen es gibt, und ich bin so einsichtig, dass mir klar ist, dass man da eigentlich überhaupt gar nicht wissen kann, was die richtige Auslegung ist.“
Das ist keine richtige Demut. Demut wäre zu sagen: „Ich weiss es nicht. Vielleicht gibt es aber andere Brüder, die sehr wohl wissen, wie man das richtig verstehen muss.“ Jakobus 3,1 sagt: „Seid nicht viele Lehrer, denn wir alle straucheln oft.“ Sich als Lehrer aufzuführen, wenn man eine Sache überhaupt nicht wirklich weiss, wird dadurch ganz klar verurteilt.
Darum: neu und gründlich studiert. Waren es legale Ehen?
Ich habe mich nun dieser Frage nochmals angenommen und habe mich gründlich damit befasst. Eine erste Überlegung ist diese Frage: Waren diese Ehen mit fremden Frauen überhaupt legal geschlossene Ehen? Oder handelte es sich nur um Konkubinats-Beziehungen? Dann hätte es auch nichts zum Auflösen gegeben, wenn dann eine Trennung zwischen Mann und Frau stattgefunden hätte. Ein Konkubinat ist nicht eine Art „halbe Ehe“. Es ist gar keine Ehe! Das sehen wir am Beispiel von dem, was der Herr Jesus der Samariterin am Brunnen in Johannes 4 ,18 sagte: „Der Mann, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann.“
Aber dieser Ansatz hilft nicht wirklich weiter, weil der Bibeltext im Buch Esra klar sagt, dass diese Frauen geheiratet wurden. In Esra 10,44 steht: „Alle diese hatten fremde Frauen genommen.“ Das Wort für „nehmen“ ist hier im Hebräischen „nasa“. Das ist auch ein normale Ausdruck, der verwendet wird, um eine Heirat auszudrücken (übrigens auch noch stets im Modern-Hebräischen). Dasselbe Wort kommt auch schon in Esra 9,2 vor: „Denn sie haben von ihren Töchtern für sich und für ihre Söhne genommen.“
In Esra 9,14 steht ein weiteres Wort: „… und uns mit diesen Gräuel-Völkern verschwägern.“ Das hebräische Wort für „sich verschwägern“ („hithchathen“) bedeutet wirklich „sich verheiraten“ bzw. „sich durch Heirat verbinden“! Jetzt kommt aber eine ganz wichtige Beobachtung dazu: In keinem einzigen Vers in Esra 9 und 10 wird gesagt, dass eine Scheidung geschehen soll. Das Wort für „entlassen“ bzw. „scheiden“ aus 5. Mose 24, wo die Scheidung mit dem gesetzlich geforderten Scheidebrief geregelt wird, ist „schalach“. Diesen Ausdruck findet man gar nicht in Esra 9 und 10!
Sprachlich begründete Antwort: Ja, die Ehen waren legal.
Was man in Vers 3 findet, ist die Formulierung „die von ihnen geboren sind, hinaustun“ – das hebräische Wort für „hinaustun“ ist „hozi‘“. Das kommt auch in Esra 10,19 vor: „Und sie gaben ihre Hand darauf, dass sie ihre Frauen hinaustun.“ Das Wort „hozi‘“ wird nicht für Scheidung gebraucht, sondern bedeutet, „etwas ausserhalb von einem bestimmten Bereich hinausführen“.
Und eine Überraschung: Ausdrücke, die auf (ausnahmsweise erlaubte) Entlassung oder Scheidung hindeuten, kommen hier überhaupt nicht vor.
In Esra 9 und 10 wird betont, wie wichtig es ist, dass sich das jüdische Volk von den götzendienerischen Völkern absondert. In Kapitel 9,1 finden wir den Vorwurf an die Juden, dass „sie sich nicht von den Völkern der Länder, nach deren Gräueln, abgesondert (haben)“, nämlich von den Kanaanitern, den Hethitern, den Perisitern, den Jebusitern, den Ammonitern, den Moabitern, den Ägyptern und den Amoritern. Das für „absondern“ verwendete hebräische Wort an dieser Stelle lautet „hivdil“. Es bedeutet „unterscheiden“ oder „trennen“, so wie es auch in 1 Mose 1,3 gebraucht wird, wo Gott zwischen Licht und Finsternis scheidet. In Esra 10,11 wird ausserdem betont: „… tut sein Wohlgefallen und sondert euch ab von den Völkern des Landes und von den fremden Frauen!“ Auch da wird wieder das Wort verwendet, das „eine (begriffliche) Unterscheidung machen“ oder eine „Trennung herstellen“ bedeutet.
In Esra 10 wurde angeordnet, dass alle, die sich in dieser Sache von Mischehen verschuldet hatten, innerhalb von drei Tagen nach Jerusalem kommen sollten, um die Situation abzuklären. Wer sich nicht daran hielt, musste mit der Strafe rechnen, dass sein komplettes Hab und Gut verbannt würde (siehe Esra 10,8). Der hebräische Ausdruck bedeutet, dass ihr Besitz durch Zwangsenteignung dem Heiligtum Gottes vermacht werden sollte. Des weiteren heisst es: „Und er selbst sollte aus der Versammlung der Weggeführten ausgeschlossen werden.“
Stattdessen: Unterscheidung der Wohnberechtigung innerhalb oder ausserhalb der jüdischen Gemeinschaft
Und dieser Ausdruck „ausgeschlossen“ ist wieder das Wort „trennen“ bzw. „eine Unterscheidung machen“ wie in 9,1 und in 10,11. Der Ausgeschlossene musste sich ausserhalb der Gemeinschaft des Volkes Israel bewegen und durfte nicht mehr in den Tempel gehen, um dort Gemeinschaft zu pflegen. Er wurde auch nicht mehr zum Volk Gottes gerechnet. Aber er konnte sehr wohl ausserhalb der jüdischen Siedlungen in Judäa wohnen.
Noch ein wichtiger Ausdruck muss geklärt werden. In Esra 10,2 wird gesagt, dass die fremden Frauen aus den Völkern im Land „heimgeführt“ worden seien, so auch in 10,10.14.17.18: „Ihr habt fremde Frauen heimgeführt.“ Der hebräische Ausdruck „hishiv“ bedeutet ganz wörtlich „veranlassen, dass man sich in einer Siedlung niederlässt“. Diese fremden Frauen waren also in den israelitischen Siedlungen aufgenommen worden, als wären sie Mitbürgerinnen von Israel. So war die Absonderung Israels von den fremden Völkern verletzt worden.
Gott bleibt sich treu! Keine Ehescheidung, sondern Eheführung mit Wohnsitz ausserhalb.
Jetzt sehen wir also, dass man diese fremden Frauen hinaustun musste, d.h. so dass sie keinen Wohnsitz mehr in den israelitischen Siedlungen haben durften, sondern wie die andern fremden Völkern im Aussenbereich wohnen mussten. Aber der Bibeltext sagt nicht, dass diese Ehen aufgelöst wurden. Es bleibt dabei, was Maleachi 2,16 sagt: Gott hasst Ehescheidung! Da lag auch kein vollzogener Ehebruch vor, so dass die Ehen dieserhalb hätten aufgelöst werden können. Aber diese Frauen durften nicht mehr in den israelitischen Siedlungen wohnen, während diese Ehen offen-sichtlich weiterbestanden.
Männer blieben gebunden: Auch keine Vernachlässigung der Unterhaltspflicht
Es kommt noch das Problem von Kapitel 10,44 dazu: „Es gab unter ihnen Frauen, die Kinder geboren hatten.“ Gottes Wort befürwortet also keineswegs, dass die Männer ihre Unterstützungspflicht nicht mehr erfüllen sollen, wenn auf falschen Wegen Kinder in die Welt geboren wurden. Eine solche Verpflichtung kann man nicht einfach so auf die Seite schieben!
Es bedeutete also nicht, dass diese Männer, die ihre Frauen und Kinder aus den Siedlungen hinausgebracht hatten, und deren Frauen nun keine israelitischen Wohnprivilegien mehr hatten, ihre Familie nicht mehr unterstützen mussten. Die Ehen bestanden weiter, aber auf eine sehr spezielle Art.
Kritik an Esra fällt in sich zusammen und auf die Kritiker zurück.
Alle Bibelkommentare, die Esra kritisieren und ihn hinstellen, als habe er überzogen am Gesetz gehandelt, kann man getrost beiseiteschieben, denn Esra 9 und 10 ist durch den Heiligen Geist so niedergeschrieben worden, dass man wirklich die Treue und Hingabe von Esra vor die Augen gestellt bekommt. Das Wort betont, wie vorbildlich Esra gewesen war und wirklich nach dem Wort Gottes handeln wollte. Sein ganzes Wesen war dabei in vorbildlicher Hingabe an den HERRN mitbeteiligt.
Dabei hatte sich dieser Mann mit dem ganzen Volk, das sich verschuldet hatte, einsgemacht. Er beschuldigte sie nicht, indem er einfach gesagt hätte: Ihr habt gesündigt! Nein, er schloss sich selbst mit ein: „Unsere Schuld ist gross bis an den Himmel. (Esra 9,10).“ Er benutzte den Plural der Bescheidenheit und leidet mit, obwohl er selbst an dieser Sache nicht schuldig geworden war. Das zeigt eine echte geistliche Haltung bei ihm. Darum war seine Haltung richtig, aber es gab solche, die diese Massnahmen für völlig überzogen hielten und ihm vorwarfen, er würde falsch handeln. In Esra 10,15 heisst es: „Nur Jonathan, der Sohn Asaels, und Jachseja, der Sohn Tikwas, traten dagegen auf; und Meschullam und Schabbetai, der Levit, standen ihnen bei.“ Es gab solche, die ihm Widerstand geleistet haben und ihm vorgeworfen haben, er irre sich. Er gehe zu weit. Diese Männer bekamen Unterstützung von weiteren Leuten, und sogar von Leviten. Aber wir sehen, wie das Volk im Allgemeinen sich ganz klar unter das Wort Gottes stellte und das Problem löste.
Wichtiges Detail: Sorgfalt in solch einer Sache – kein pauschales Urteil!
Was noch zu betonen ist: Sie hakten diese Sache nicht einfach pauschal ab. Esra forderte, dass alle betroffenen Männer nach Jerusalem kommen sollten. Dort haben sie tagelang alle Fälle studiert. Sie stellten fest: Es waren 17 Priester aus drei Geschlechtern dabei; es waren 10 Leviten darunter, sogar drei Torhüter waren betroffen, Männer, die eigentlich dafür hätten sorgen sollen, dass nichts Böses in den Tempel hineinkommt. Weitere 86 gewöhnliche Israeliten aus dem Volk hatten sich das zuschulden kommen lassen. Insgesamt waren es 113 Männer. Tagelang wurden die Angelegenheit ganz genau untersucht.
Legale Möglichkeit zur Heirat nicht-jüdischer Frau gab es.
Es hätte ja grundsätzlich die Möglichkeit gegeben, nicht-jüdische Frauen zu heiraten. Das sehen wir schon bei Boas, der die Moabiterin Ruth geheiratet hatte. Wenn eine Frau sich vom Götzendienst trennte und zum Volk Gottes übertrat, war eine Heirat mit einem Israeliten durchaus möglich. Auch die Hure Rahab trat dem Volk Israel bei und durfte danach einen Mann aus dem Stamm Juda heirateten. Sie kam dadurch sogar in den Stammbaum des Erlösers hinein (siehe Matthäus 1 und Lukas 3). Solche Eheschlüsse wären also auf gesetzeskonforme Weise möglich gewesen. Darum klärte Esra jeden Fall genau ab. Die Angelegenheit wurde nicht einfach pauschal abgehandelt. Wenn klar wurde, dass eine fremde Frau weiter ihren Göttern diente und sich auch nicht bekehren wollte, dann musste man den Schluss ziehen, dass sie nicht in den israelitischen Siedlungen wohnen durfte. Sie mussten einen Wohnraum ausserhalb vom Wohnbereich des Volkes Gottes beziehen, damit die Absonderung ganz klar sichtbar war.
Zum Schluss: Warnung vor dem ungleichen (Ehe-)Joch im AT wie im NT
Zusammenfassend ist noch zu sagen, dass Esra 9 und 10 uns dasselbe Thema schon im AT vor Augen führt, das später im NT, und zwar z.B. in 2. Korinther 6,14, gelehrt wird. Dort ermahnt uns das Wort ernstlich, dass ein ungleiches Joch unmöglich ist. Eine Heirat zwischen einem Gläubigen und einer Ungläubigen oder umgekehrt ist schlicht und einfach gegen Gottes Plan. Es ist Sünde. Das galt schon im AT als Sünde und gilt genauso im NT als Sünde.
In 1. Korinther 7 behandelt der Apostel Paulus den Fall, wenn jemand nach der Heirat zum Glauben kommt. Dort wird beschrieben, wie dann das Verhältnis zum ungläubigen Ehepartner aussieht. Dem gläubigen Teil wird dort Mut gemacht. Der gläubige Partner soll keinesfalls anstreben, eine solche Ehe aufzulösen, sondern diese Herausforderung als eine grosse Chance für den ungläubigen Partner sehen, um ihn zum Glauben zu führen. Der ungläubige Mann ist geheiligt (d.h. für Gott speziell auf die Seite gestellt) durch die gläubige Frau und umgekehrt. Dadurch hat der ungläubige Partner eine ganz besondere Chance, um zum rettenden Glauben zu gelangen!